Schlüs­sel­kom­pe­tenz Viel­falt Wenn eine Diver­si­ty-Fort­bil­dung wirk­lich divers wird

Sich mit Diver­si­ty zu beschäf­ti­gen und die Schlüs­sel­kom­pe­tenz Viel­falt Projektakteur_​innen und Ziel­grup­pen näher­zu­brin­gen, gehört zum täg­li­chen Geschäft von Pro­jek­ten, die bera­tend in der Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on tätig sind. Oft fällt dabei gar nicht mehr auf, dass schon die »Defi­ni­ti­on von Ziel­grup­pen« vom Gedan­ken gelei­tet ist, Homo­ge­ni­tät zu schaf­fen. Denn es ist nahe­lie­gend und scheint per se leich­ter zu sein, Pro­gram­me für Men­schen mit glei­chen oder ähn­li­chen Eigen­schaf­ten zu ent­wer­fen. Umso span­nen­der war des­halb ein Expe­ri­ment, gera­de das Gegen­teil von dem zu machen.

Im Som­mer 2021 plan­te ich inner­halb eines Bera­tungs­pro­jekts im IQ Netz­werk Baden-Würt­tem­berg (letz­ter Zugriff 21.06.2022), eine Fort­bil­dung für Ausbilder_​innen anzu­bie­ten. Dies soll­te in Koope­ra­ti­on mit einer Kam­mer gesche­hen. Inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz, Diver­si­ty, Anti­dis­kri­mi­nie­rung – also die »klas­si­schen« The­men, die in Zei­ten von Fach­kräf­te­man­gel drin­gend ange­gan­gen wer­den soll­ten. Wenn Kom­mu­ni­ka­ti­on rei­bungs­los funk­tio­nie­ren soll, braucht es ein ver­tief­tes Ver­ständ­nis für das Gegen­über. Das setzt mitt­ler­wei­le weit mehr vor­aus als ein Ver­ständ­nis ein­fa­cher Grund­kom­mu­ni­ka­ti­on. Viel­mehr for­dert uns Hete­ro­ge­ni­tät her­aus, und das auf allen Ebe­nen: Indi­vi­dua­li­tät statt Kon­for­mi­tät im Bereich Spra­che sowie indi­vi­du­el­le Prä­gun­gen bei Wer­ten und Gewohn­hei­ten. Gute Bera­tungs- und Fort­bil­dungs­pra­xis bedeu­tet in die­sem Fall, jeden Aspekt ein­zeln zu ana­ly­sie­ren und dabei das Gan­ze im Blick behalten.

Was es braucht, ist ein Gespür für Unter­schie­de und Ursa­chen­zu­sam­men­hän­ge sowie oben­drein ein gewis­ses Geschick, mit Unbe­kann­tem und Uner­war­te­tem gut klar­zu­kom­men. Das erfor­dert ein gutes Gespür für sich selbst und die Bereit­schaft, Fort­bil­dungs­pro­jek­te mit Selbst­er­fah­rungs- und Simu­la­ti­ons­ele­men­ten, mit Feed­back­schlau­fen und Pra­xis­an­tei­len anzu­neh­men. Hier die rich­ti­ge Mischung zu fin­den, war unser Plan.

Eine Dozen­tin mit Offen­heit und Anten­nen für neue Wege und eine akri­bisch bis ins Feins­te abge­stimm­te Pla­nung waren viel­ver­hei­ßend. Alles lief, war gebucht und auf­ge­gleist … und kam dann doch ganz anders. Coro­na? Pro­ble­ma­tisch. Frei­stel­lun­gen und Zusa­gen? Schwie­rig. Ver­schie­ben? Dann plötz­lich auch noch der Krieg in der Ukrai­ne. Neue Ein­la­dun­gen? Selbst­ver­ständ­lich. Auf ein­mal schie­nen in Aus­sicht gestell­te Frei­stel­lun­gen nicht mehr mög­lich zu sein, und die Lust der Ziel­grup­pe flau­te merk­lich ab. Erneut ver­schie­ben? Wie­der vie­le Ein­la­dun­gen schrei­ben und ver­schi­cken, um dann noch weni­ger Anmel­dun­gen zurückzubekommen?

Die Begeis­te­rung sank signi­fi­kant. Bei allen. Dann der Ent­schluss: Jetzt erst recht! Die­ser Kurs, in den so viel inves­tiert wur­de, muss statt­fin­den. Mitt­ler­wei­le war fast ein gan­zes Jahr ver­gan­gen. Will gut Ding unbe­dingt soviel Wei­le haben?

Die Situa­ti­on brach­te uns auf eine neue Idee, gewohn­te Pfa­de und übli­che Kon­zep­te bewusst zu ver­las­sen und sich von ein­ge­fah­re­nen Sche­ma­ta zu ver­ab­schie­den. Auf das Hand­werk, auf Zusa­gen über­be­trieb­li­cher Meis­ter und Aus­bil­de­rin­nen, konn­ten wir bau­en. Dann auf der ande­ren Sei­te der Pfle­ge­be­reich, der sich bereits Anfang 2020 zu einem Fokus unse­res Bera­tungs­pro­jekts ent­wi­ckelt hat­te, mit immer wie­der­keh­ren­den Hin­wei­sen, dass die Aus­bil­dung – hier Anlei­tung genannt – der neur­al­gi­sche Punkt und die Achil­les­fer­se für das Onboar­ding aus­län­di­scher Arbeits­kräf­te sei.

Wie wäre es, eine gemein­sa­me Fort­bil­dung für Ausbilder_​innen und Anleiter_​innen anzu­bie­ten? In Anbe­tracht der Situa­ti­on, keim­te die Über­le­gung auf: War­um eigent­lich nicht mal den Viel­falts­ge­dan­ken ernst neh­men und das Expe­ri­ment wagen, ganz unter­schied­li­che Berei­che wie das Hand­werk und die Pfle­ge gemein­sam zum The­ma Viel­falt fortzubilden?

Als das Ange­bot dann auch den Pfle­ge­ein­rich­tun­gen und einer Kli­nik unter­brei­tet wur­de, ent­stand umge­hend eine neue Grup­pe. Aus einem ursprüng­lich dezi­diert aufs Hand­werk abge­stimm­ten Pro­gramm wur­de ein Ange­bot »für alle«.

Das Ergeb­nis: Es fand eine in der Tat nicht ganz all­täg­li­che, span­nen­de Fort­bil­dung statt. Kli­nik und Hand­werk, Anlei­ten­de und Aus­bil­den­de – jen­seits jeg­li­cher All­tags­rou­ti­nen, mit dem ver­bin­den­den Ziel, diver­se kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de bes­ser »ver­ste­hen« zu ler­nen. Per­so­nen aus ganz unter­schied­li­chen Berei­chen, die mit der glei­chen Ziel­grup­pe und den glei­chen Her­aus­for­de­run­gen zu tun haben, kamen zusam­men: Betreue­rin­nen aus dem Aus­bil­dungs­ser­vice, über­be­trieb­li­che Aus­bil­dungs­meis­ter aus drei ver­schie­de­nen Gewer­be­aka­de­mien, eine Aus­bil­de­rin, eine Kli­nik­an­lei­te­rin, sowie Anlei­te­rin­nen und ein Sozi­al­dienst aus drei Pflegeeinrichtungen.

Die Diver­si­tät völ­lig unter­schied­li­cher Arbeits­be­rei­che, Erfah­run­gen und Her­an­ge­hens­wei­sen sorg­te für eine neue, inspi­rie­ren­de und außer­or­dent­lich offe­ne Arbeitsatmosphäre.

Der Bene­fit? Eine berei­chern­de per­sön­li­che Erfah­rung und ein per­sön­li­cher Gewinn, der glei­cher­ma­ßen ein Gewinn für die Betrie­be und ihre Aus­zu­bil­den­den ist. Das ist gewis­ser­ma­ßen die viel­be­schwo­re­ne und von uns allen gewünsch­te Kata­ly­sa­tor-Wir­kung, mit wel­cher der Motor »Viel­falt« in einer immer bun­te­ren Arbeits­welt wirk­mäch­tig wer­den kann.

Schlüs­sel­kom­pe­tenz Viel­falt: Kul­tu­rel­le Viel­falt als Über­schrift und als Inhalt

»Kul­tu­rel­le Viel­falt«, zwei Wör­ter, die alles und nichts bedeu­ten kön­nen. In der Fort­bil­dung näher­ten wir uns die­sem Begriff über die eige­ne Migra­ti­ons­ge­schich­te, bio­gra­fisch ver­knüpft mit theo­re­ti­schen Grund­la­gen bezüg­lich Iden­ti­tät, Per­son, Grup­pe, Rollenerwartungen.

Kul­tu­rel­le Viel­falt im Sin­ne von »Migra­ti­ons­er­fah­rung« stand dabei anfangs gar nicht so sehr im Vor­der­grund. Dreh- und Angel­punk­te waren die Blö­cke »Ste­reo­ty­pe und Vor­ur­tei­le«, ein sehr spie­le­risch umge­setz­ter Bereich, sowie das The­ma »Kom­mu­ni­ka­ti­on: all­ge­mein und inter­kul­tu­rell«. Dass Kom­mu­ni­ka­ti­on letzt­end­lich der Schlüs­sel zu allen Kon­flikt­ver­mei­dun­gen und -lösun­gen ist, ver­steht sich (hof­fent­lich) von selbst. Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­tio­nen expe­ri­men­tell zu üben, spür­bar zu erle­ben, ist dabei aller­dings etwas ganz ande­res und eine neue, inspi­rie­ren­de Erfah­rung, zu der es Mut und Ermu­ti­gung braucht. Nur so kann eine Schlüs­sel­kom­pe­tenz Viel­falt rea­lis­tisch ent­wi­ckelt werden.

Ergän­zend hier­zu, ver­wei­se ich auf mei­ne sechs Jah­re zuvor geschrie­be­nen Gedan­ken zur Inter­kul­tu­rel­len Kom­pe­tenz.

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