Es gibt da etwas, das mich im gesellschaftlichen Alltag und erst recht im politischen Handeln ernsthaft ärgert: Man möchte Probleme lösen und baut dabei auf das Bekämpfen von Symptomen. Viel sinnvoller wäre es, die Ursachen zu analysieren und dann entsprechend zu handeln.
Wenn man die aktuellen gesellschaftlichen Probleme betrachtet, merkt man, dass vieles in erster Linie mit misslungener Integration zusammenhängt. Mit Integration meine ich hierbei nicht den landläufig darunter verstandenen Hinweis, dass Migranten in die deutsche Mehrheitsbevölkerung integriert werden sollen. Oder, wie es auch immer wieder heißt: dass sie sich gefälligst zu integrieren hätten, sprich »anpassen sollen«. Nein, mit Integration meine ich, dass die gesamte Bevölkerung bezüglich ihrer milieubedingten Probleme und daraus resultierenden eventuellen Desintegrations-Phänomene betrachtet werden muss.
Ein sogenannter Migrationshintergrund mag zwar unter ungünstigen Umständen Integrationshemmnisse mit sich bringen – doch der derzeitig fixierte Fokus darauf wirkt nahezu etwas konstruiert. Denn wie viele Menschen, die in ihrer Familiengeschichte seit Jahrhunderten keinen größeren Migrationshintergrund vorzuweisen hätten, sind aus der gesellschaftlichen Mitte herausgefallen? Leben in den sogenannten Ghettos nur Migranten und Deutsche mit Migrationshintergrund? Beziehen nur diese Bevölkerungsgruppen soziale Transferleistungen? Mitnichten. Das Stichwort lautet: Milieu. Die Schlüssel sind: Erziehung, Bildung und Aufklärung.
Wenn wir eine funktionierende, in sich integrierte, verhältnismäßig ausgeglichene und möglichst zufriedene Gesellschaft haben wollen, müssen wir investieren. Und zwar in die Kinder. Deren Jetzt und Hier ist kausal bestimmend für ihre und unsere Zukunft – ob diese positiv oder negativ verläuft. Entsprechend, ob sie selber positiv oder negativ aufwachsen und geprägt werden. Man kann bestehende gesellschaftliche Probleme nicht mit kurzfristigen Projekten oder Programmen lösen. Das wird zwar gerne in politische Agenden gestreut, ist aber letztendlich reine Augenwischerei und führt in die Irre. Man kann jedoch zukunftsgewandt und nachhaltig in kommende Generationen investieren.
Das Aufwachsen der Kinder, der Umgang mit ihnen und ihre Betreuung im Kleinkindalter sind bereits Weichenstellungen für die zukünftige Gesellschaft. Das heißt, dass es an der Zeit wäre, Abstand vom Gedanken zu nehmen, dass man mit Planungen in Legislaturperioden-Zeitspannen ernsthaft aktiv etwas erreichen könnte. Tatsächlich muss man in ganz anderen Dimensionen denken und planen. Generationsbedingt geht es hierbei um Zeiträume zwischen 30 und 60 Jahren. Fehler, welche in den letzten 50 bis 60 Jahren bei Immigranten, sozialen Randgruppen oder in bestimmten Milieus gemacht wurden, wirken sich seit mindestens knapp 20 Jahren für fast alle sicht- und spürbar aus. Das sind, so gesehen, keine aktuellen Probleme, sondern auf lange Sicht vorhersehbare und vielleicht auch teils wider besseres Wissen herbeigeführte beziehungsweise provozierte.
Mittlerweile scheint es auch im politischen Betrieb hier und da angekommen zu sein, dass man bedingungslos bei Kleinkindern und Kindern ansetzen muss. Und zwar bei allen. Bei denen der Mehrheitsbevölkerung, bei denen mit Migrationshintergrund und auch bei denen von beispielsweise Flüchtlingen. Denn es ist durchaus denkbar, dass auch letztere die »neue« Bevölkerung sein werden. Grundsätzlich scheint mit der derzeitigen Form von »Betreuungsgeld«1Siehe hierzu Abschnitt 2 des BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz), Stand: Neugefasst durch Bek. v. 27.01.2015 I 33: http://www.gesetze-im-internet.de/beeg/BJNR274810006.html#BJNR274810006BJNG000400308> (letzter Zugriff 26.04.2015). kein sinnvoller Ansatz geschaffen zu sein. Selbstverständlich ist es begrüßenswert, dass Betreuung unterstützt wird,2An dieser Stelle sei angemerkt, dass das »Hausfrauen- und Mutter-Dasein« in vergangenen Jahrzehnten überhaupt nicht honoriert wurde. Diese Frauen lebten in Abhängigkeit von ihren Männern, welche als »Ernährer« arbeitend das Geld verdienten. Dass diese Hausfrauen und Mütter mindestens genauso viel ernährten, erzogen und (zu Hause) arbeiteten – das wurde überhaupt gar nicht wahrgenommen und gewürdigt. Ihre Hausarbeit war nie im Bruttosozialprodukt miteinberechnet. Ob sich das heute besser darstellt, entzieht sich meiner derzeitigen Kenntnis. aber man darf nicht die Einstellung haben, dass es dem Staat und der Gesellschaft egal sein sollte, wie Eltern ihre Kinder aufziehen. So etwas wäre ziemlich falsch verstandener Liberalismus.
Der Staat muss sich aktiv um Bildung und Aufklärung kümmern. Nicht nur durch ein Bereitstellen von Infrastruktur und Angeboten, sondern auch durch eine Kontrolle der Annahme und Nutzung dieser. Man könnte im übertragenen Sinn von einer Qualitätssicherung in Sachen Gesellschaft sprechen. Hierbei ist es außerordentlich wichtig, dass an den entscheidenden Schaltstellen wissenschaftliche Experten sich mit der Materie beschäftigen und in diesem Bereich nicht nur verwaltet wird. Verwaltung sollte bei diesem offenkundig wichtigen Baustein der Gesellschaftsinvestition und -formung nur ein Nebenaspekt sein.
Wenn man diese Punkte berücksichtigt, hat man endlich den Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel gewagt. Weg vom Reagieren, hin zum aktiven Gestalten. Das ist auch ein nötiger Schritt, um ein neues Menschen- und Gesellschaftsbild etablieren zu können. Noch heute beschwören viele »Multikulti« oder – etwas seriöser – Multikulturalität. Gleichzeitig wird dieser dann markig die deutsche »Leitkultur« entgegengehalten. Erst langsam scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Interkulturalität weiter führt, da es hierbei auch zu einem konstruktiven Dialog »zwischen den Kulturen« kommt. Doch finde ich es nicht sinnvoll, dass die politische Agenda in Schlagworten wie Interkulturalität, interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Öffnung zu verharren scheint. Es muss weitergehen, wir müssen vorwärts schauen! Das Ziel sollte eine transkulturelle Gesellschaft sein.
Transkulturalität bedeutet, dass sich aus bestehenden kulturellen Hintergründen auch völlig neue Identitäten entwickeln können. Trennende Grenzen können überwunden werden. Selbstverständlich sind kulturelle Hintergründe als menschliche Eigenschaften höchst individuell. Doch wenn man von »Mehrheitsgesellschaft(en)« spricht, sollte man bedenken, dass diese ja nicht statisch sind. Es wird immer neue Formen geben, Kultur ist plastisch. Da sollte man nicht denken, dass eine konservierende Interkulturalität der Weisen letzter Schluss sei. Eine progressiv mäandernde Transkulturalität ist ein Fortschritt. Hin zu einem neuen Wir. Zu dem Wir, welches ja bekanntlich entscheidet. Das ist die Antwort auf die Fragen, wer das Wir ist, wer deutsch ist, was deutsch ist und wie die neue deutsche Identität in Zeiten eines demographischen Wandels aussehen könnte.
Ich empfehle, hierzu ergänzend meinen Artikel Ursache und Symptom zu lesen.
Literaturquellen und Anmerkungen
↑1 | Siehe hierzu Abschnitt 2 des BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz), Stand: Neugefasst durch Bek. v. 27.01.2015 I 33: http://www.gesetze-im-internet.de/beeg/BJNR274810006.html#BJNR274810006BJNG000400308> (letzter Zugriff 26.04.2015). |
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↑2 | An dieser Stelle sei angemerkt, dass das »Hausfrauen- und Mutter-Dasein« in vergangenen Jahrzehnten überhaupt nicht honoriert wurde. Diese Frauen lebten in Abhängigkeit von ihren Männern, welche als »Ernährer« arbeitend das Geld verdienten. Dass diese Hausfrauen und Mütter mindestens genauso viel ernährten, erzogen und (zu Hause) arbeiteten – das wurde überhaupt gar nicht wahrgenommen und gewürdigt. Ihre Hausarbeit war nie im Bruttosozialprodukt miteinberechnet. Ob sich das heute besser darstellt, entzieht sich meiner derzeitigen Kenntnis. |