Bel­lum Omni­um Con­tra Omnes Ras­sis­mus im Zug

Wenn ihr Tür­kisch reden wollt, geht in die Türkei!

Don­ners­tag, 24. Juli 2008, in einem Zug im beschau­li­chen Süd­ba­den, abends um 19:07 Uhr. Wir stei­gen ein, es ist eng, sti­ckig und wie immer um die­se Zeit recht über­füllt. Es fah­ren auch recht vie­le »Aus­län­der« – Neu­hoch­deutsch heißt das jetzt »Mit­bür­ger mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund« – im Zug mit. Ich sit­ze am Gang und lese eine Zeit­schrift. Etwas wei­ter vor­ne ist eine Grup­pe jun­ger Frau­en mit Kin­dern. Sie reden recht laut mit­ein­an­der in einer (auch mir) unbe­kann­ten Spra­che. Nun ja, ein wenig ner­vig, aber neben mit sit­zen jun­ge Leu­te mit Knöp­fen im Ohr und hören lau­te Musik. Was ist nun ner­vi­ger? Rich­tig … es müss­te jetzt nur noch ein Mobil­te­le­fon klin­geln, und ich wüss­te unfrei­wil­lig wie­der ganz vie­le Sachen, die ich eigent­lich gar nicht wis­sen woll­te. Was soll’s … so sind die Zei­ten eben.

Doch plötz­lich pas­siert etwas, das man so in die­ser Form sel­ten in die­sem Zug erlebt – ich zumin­dest wer­de in zwölf Jah­ren zum ers­ten Mal Zeu­ge solch einer Situa­ti­on. Eine Frau mitt­le­ren Alters, geschätz­te fünf­zig plus, explo­diert laut­stark und schreit die Frau­en zusam­men: »Mir sind hier in Deutsch­land, ihr mit eurem Blah Blah Blah, geht mit eurem Tür­kisch in die Tür­kei, hier ist Deutsch­land, mir rede hier Deutsch!« Oha! Nun sit­ze ich – ein soge­nann­ter Deutsch­tür­ke, was ein Zufall – eine Rei­he schräg hin­ter ihr und höre ja auch ganz genau, dass nie­mand im Zug Tür­kisch spricht. Ihre Hass­ti­ra­den gehen wei­ter … die jun­gen Frau­en – sie sagen spä­ter, dass sie aus Bos­ni­en sei­en – sind völ­lig per­plex und weh­ren sich noch nicht einmal.

Ich ste­he auf und sage der Kei­fen­den, dass sie mit ihrem Geschrei und ihrer Hatz auf­hö­ren soll. Ich sei Tür­ke und wür­de sie anzei­gen, wenn sie so wei­ter­macht und gegen Tür­ken wet­tert. Offen­sicht­lich aus­län­der­feind­li­ches Han­deln kann und darf man nicht dul­den. Recht schnell schau­kelt sich die Sache hoch, bis ich ihr in einem ihrer Laut­stär­ke ange­pass­ten Ton mei­ne Mei­nung sto­ße. Ihr Argu­ment: »Was kann ich dafür, wenn sie sich ange­spro­chen füh­len da hin­ten!« Ach so. Ich soll als »Tür­ke« – in die­sem Augen­blick ist es reich­lich egal, ob ich Deut­scher, Tür­ke, Arme­ni­er, Bos­ni­er oder Spa­ni­er bin – still dasit­zen und weg­hö­ren. Und gefäl­ligst weder mich ange­spro­chen füh­len, noch sie beim Pöbeln stö­ren! So, wie es just zu die­sem Zeit­punkt ein Hau­fen anstän­di­ger Deut­scher und ein Hau­fen per­ple­xer Nicht­deut­scher tut.

Wäh­rend ich ver­su­che, die­ser Unper­son die Bewandt­nis mit der Anzei­ge näher zu brin­gen, kommt nun eine Wen­dung in die­se Tra­gi­ko­mö­die, mit der ver­mut­lich kaum jemand rech­nen wür­de: Eine mit tiefs­tem rus­si­schen Akzent Deutsch spre­chen­de Frau zerrt an mei­nem Arm und sagt, ich sol­le doch die arme Frau in Ruhe las­sen! Danach wen­det sie sich ihr zu und schiebt noch nach, dass sie mich wegen Nöti­gung anzei­gen soll­te. Na, das ist ja jetzt mal eine inter­es­san­te Situa­ti­on. Eine Deut­sche keift Bos­nie­rin­nen an, die ganz klar kei­ne sla­wi­sche Spra­che spre­chen und beschimpft sie als Tür­ken; ein Tür­ke mischt sich ein und erklärt ihr auf Hoch­deutsch, dass sie durch­aus das Recht habe zu sagen, dass sie sich vom lau­ten Gere­de gestört fühlt, dass sie aber kei­ne ras­sis­ti­schen Sprü­che klop­fen soll; da rum­pelt eine Rus­sin los – nein, das klang nicht wirk­lich Russ­land­deutsch – und nimmt die Deut­sche in Schutz, wel­che kei­ne aus­län­disch Spre­chen­den um sich her­um dul­den mag. Also doch eine »Aus­sied­le­rin«, die sich als beson­ders ger­ma­nisch pro­fi­lie­ren möch­te? Oder gar eine sla­wi­sche Ani­mo­si­tät gegen nicht­sla­wi­sche Bos­nie­rin­nen? Auf jeden Fall … Rin­gel­piez ohne Anfassen.

Und es geht gera­de wei­ter so: Ein jun­ges Mäd­chen tritt an mich her­an und meint, ich sol­le doch die Frau nicht so bedrän­gen. Ich fra­ge sie, ob sie eigent­lich mit­be­kom­men habe, was los war. Nein, sie saß hin­ten im Zug, aber sie sähe, wie die arme Frau Angst vor mir hät­te. Da mischen sich zwei jun­ge Män­ner – eben­falls mit »Migra­ti­ons­hin­ter­grund« – ein und sagen ihr, dass es schon in Ord­nung sei, wenn man in der­ar­ti­gen Fäl­len etwas erwi­de­re. Nach­dem der jun­gen Frau genau­er geschil­dert wird, was da eigent­lich alles pas­siert war, sagt sie, dass sie das auch nicht gut gefun­den hät­te, aber sie wür­de das dann freund­li­cher aus­drü­cken. Viel­leicht hät­te man der net­ten teu­to­ni­schen Dame ja einen tür­ki­schen Tee und bos­ni­sche Kek­se anbie­ten sollen?

Was lernt man daraus?

  1. Weg­gu­cken, weg­hö­ren und igno­rie­ren sind immer noch Garan­ten für ein stress­frei­es Leben.
  2. Frem­den­feind­lich­keit fällt nicht so unan­ge­nehm auf. Aber sich dage­gen­stel­len – das kann schockieren.
  3. Die fei­ne Ana­lo­gie zwi­schen Aus­län­der­feind­lich­keit und Frem­den­feind­lich­keit bringt Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund dazu, sich dar­über zu freu­en, dass Per­so­nen ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund ande­ren Per­so­nen, jetzt wie­der mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, ultra xeno­phob (»frem­den­feind­lich« auf Nicht­deutsch) ent­ge­gen­tre­ten. Mischt sich nun ein Inlän­der tür­ki­scher »Abstam­mung« in das Gesche­hen ein … gibt es einen bun­ten Rei­gen aber kei­nen Kon­sens, dass man Men­schen nicht mit Nati­on, Spra­che, Blut und Boden zur Rai­son bringt. Kurz: Es heißt dann »Alle gegen Alle!«

Man soll­te in einem Zug im beschau­li­chen Süd­ba­den – und nicht nur dort – in der­ar­ti­gen Situa­tio­nen zumin­dest den­ken und füh­len, dass wir alle Tür­ken, Bos­ni­er, Rus­sen, Mao­ri, Aus­län­der und Deut­sche … kurz­um Men­schen sind. Weh­ret den Anfän­gen … hieß es einst. Mei­nes Erach­tens kann man mitt­ler­wei­le nur noch sagen: Schlaft nicht, bis die Anfän­ge wie­der zu bösen Enden führen!

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