Zur Ety­mo­lo­gie von »Männ­lich­keit«

Um sich ein Bild zu ver­schaf­fen, wie Männ­lich­keit über­haupt wahr­ge­nom­men wird und als was Männ­lich­keit defi­niert ist, erscheint es sinn­voll, sich ety­mo­lo­gisch mit den (deut­schen) Begrif­fen Mann und Männ­lich­keit aus­ein­an­der­zu­set­zen. In einem 1834 erschie­ne­nen deut­schen Wör­ter­buch für Ety­mo­lo­gie steht folgendes:

Der Mánn, -es, die Män­ner und in der Bedeu­tung von Kriegs­leu­ten Mán­nen (in Zusam­men­set­zun­gen auch die Leu­te), ahd.1Alt­hoch­deutsch. man, g.2Geni­tiv. man­nes und man, d.3Dativ. man­ne, a.4Akku­sa­tiv. mannan und man; goth.5Gotisch. man­na, g. mans, Mz.6Mehr­zahl mans […].7Unle­ser­li­ches Zei­chen. Daher die Män­ninn, ahd. man­nîn, H. f. 383, die Mánns­per­son, das Mánns­volk, die Mánns­leu­te, die Mánn­heit, die Mánn­schaft, das Mán­nes­al­ter, der Mánns­schnei­der, die Mánns­zucht, die Mánn­sucht, mánn­süch­tig, mánn­stoll, die Mánn­toll­heit, mánn­scheu, mánn­haft, die Mánn­haf­tig­keit, männ­lich, die Männ­lich­keit, män­nisch in eîn­mȧn­nisch, zweîmȧn­nisch, einem, zwei Mann oder Per­so­nen ange­mes­sen, mánn­bar, die Mánn­bar­keit, bemán­nen, ent­mán­nen, sich ermán­nen, übermánnen.

Mann wird in der ältes­ten Zeit sowohl von dem Man­ne im Beson­dern, als auch von dem Men­schen über­haupt gebraucht. In dem Wes­s­obr. Gebet8Wes­so­brun­ner Gebet. hei­ßen sogar Gott man­nô mil[…]osto,9Unle­ser­li­ches Zei­chen. Ver­mut­lich: man­nô mil­tis­to. der mil­des­te der Man­nen, und die Engel mit­man, Mit­man­nen. – Das Wort kann abge­lei­tet wer­den v. d. W.10Von der Wur­zel. man, den­ken, woher im Sansk.11Sans­krit. manns, der den­ken­de Geist, wofür auch zu spre­chen scheint, daß in dem Wes­s­obr. Gebet kot­lih­hê keis­tâ, gött­li­che Geis­ter, als Appo­si­ti­on von mit­man erscheint. – Betrach­tet man aber das altn.12Alt­nor­disch? madhr, der Mann, so muß man zwei­feln, daß die W. man hei­ße, viel­mehr an ma, groß, oder könn­te sofern madhr für man­dhr stün­de, wenigs­tens an die W. man, schüt­zen, den­ken, wofür das spricht, daß fast alle ande­re Wör­ter für Mann, wie cha­ral, komo, der Schüt­zen­de, heißen. 

[…]13Aus­ge­las­se­ne Text­pas­sa­ge.

Männ­lich, ahd. man­nolîh, für Jeder­mann; wörtl.- das Manns­bild.14Vgl. SCHMIT­T­HEN­NER, Hein­rich (Hrsg.): Kur­zes Deut­sches Wör­ter­buch für Ety­mo­lo­gie, Syn­ony­mik und Ortho­ga­phie. Darm­stadt, Ver­lag von Fried­rich Metz, 1834, S. 178.

Obwohl männ­lich ursprüng­lich »für jeder­mann« bedeu­tet, war mit­nich­ten »jeder­mann« pri­vi­le­giert, bei­spiels­wei­se einen Ehren­han­del in Form eines Duells aus­zu­tra­gen.15Vgl. MEU­SER, Micha­el: Geschlecht und Männ­lich­keit. Sozio­lo­gi­sche Theo­rie und kul­tu­rel­le Deu­tungs­mus­ter. 2., über­ar­bei­te­te und aktua­li­sier­te Auf­la­ge. Wies­ba­den, VS Ver­lag für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, 2006, S. 105. Gleich als zwei­te Bedeu­tung – nach Män­ner – ist von Kriegs­leu­ten die Rede. Die Ver­bin­dung und Nähe zwi­schen den Begrif­fen »Mann« und »Krieg« ist offen­sicht­lich. Die gram­ma­tisch femi­ni­ne Vari­an­te Män­nin begeg­net einem heut­zu­ta­ge in moder­nen Tex­ten nicht so oft, außer bei­spiels­wei­se im Wort Landsmännin.

Die­se Quel­le bestä­tigt außer­dem, dass das Wort »Mann« im Deut­schen sowohl für Mann als auch für Mensch benutzt wur­de. Das ist auch heu­te noch oft so und führt uns direkt zurück zu der alt­tes­ta­ment­li­chen und auch kora­ni­schen Quel­le, dass der ers­te Mensch ein Mann sei – Adam. Dass im Wes­so­brun­ner Gebet Gott als »Mil­des­ter der Man­nen« umschrie­ben wird, zeigt die männ­li­che und in die­sem Fal­le womög­lich auch krie­ge­ri­sche Kon­no­ta­ti­on des Gött­li­chen – Gott wird auch heu­te im Deut­schen mit »der lie­be Gott« und »Vater« ange­ru­fen und wahr­ge­nom­men.16An die­ser Stel­le muss man dar­auf hin­wei­sen, dass dies weder im Tür­ki­schen, noch im Ara­bi­schen der Fall ist. Zwar kon­zen­trie­re ich mich auf die deut­sche Ety­mo­lo­gie und schla­ge eine Brü­cke zu reli­giö­sen Quel­len, doch muss man unter­schei­den: Der ers­te Mensch ist in den abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen ein Mann, doch Gott ist nicht zwangs­läu­fig männ­lich. Im Koran heißt es in Sure 112: »Im Namen Allahs, des All­barm­her­zi­gen! Sprich: ›Allah ist der allei­ni­ge, ein­zi­ge und ewi­ge Gott (der unwan­del­ba­re). Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich‹«. Im Islam ist Gott somit nicht mit einem Vater oder einer Mut­ter zu ver­glei­chen. Das christ­lich »Väter­li­che« bleibt außen vor.

Alle in der Quel­le dis­ku­tier­ten Ablei­tun­gen von unter­schied­li­chen Wur­zeln beinhal­ten Eigen­schaf­ten oder Taten, die auch gegen­wär­tig als beson­ders »männ­lich« durch­ge­hen wür­den – »den­ken«, »groß« und »schüt­zen«. Nur zwei Absät­ze spä­ter steht der kur­ze Ein­trag zu dem Begriff »Männ­lich«, das wört­lich über­setzt Manns­bild heißt. Dies impli­ziert die visu­el­le Beset­zung des Wor­tes. Auch heu­te wird Männ­lich­keit vor allem über Kör­per­lich­keit, also das Abbild des Man­nes, defi­niert und aus­ge­drückt.17Vgl. CON­NELL, Robert: Der gemach­te Mann. Kon­struk­ti­on und Kri­se von Männ­lich­kei­ten. 2. Auf­la­ge. Geschlecht und Gesell­schaft. Band 8. Opla­den, Les­ke + Bud­rich, 2000, S. 65, BOUR­DIEU, Pierre: Das väter­li­che Erbe. Pro­ble­me der Vater-Sohn-Bezie­hung. In: Bos­se, Hans; King, Vera (Hrsg.). Männ­lich­keits­ent­wür­fe. Wand­lun­gen und Wider­stän­de im Geschlech­ter­ver­hält­nis. Sei­ten: 83–91. Frank­furt am Main, New York, Cam­pus Ver­lag, 2005 und MEU­SER, Micha­el: Män­ner­kör­per. Dis­kur­si­ve Aneig­nun­gen und habi­tua­li­sier­te Pra­xis. In: Beres­will, Mecht­hild; Meu­ser, Micha­el; Scholz, Syl­ka (Hrsg.). Dimen­sio­nen der Kate­go­rie Geschlecht. Der Fall Männ­lich­keit. Forum Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung. Band 22. Sei­ten: 152–168. Müns­ter, Ver­lag West­fä­li­sches Dampf­boot, 2007.

Aus tech­ni­schen Grün­den ver­zich­te ich in obi­gem Zitat auf die Schrei­bung der mit einem Akzent ver­se­he­nen »ä«. Die Fuß­no­ten sind nicht Teil des Zitats.

Die­ser Arti­kel ent­stand im Rah­men mei­ner For­schung und Dis­ser­ta­ti­on Kul­tu­rel­le Aspek­te der Sozia­li­sa­ti­on – Jun­ge tür­ki­sche Män­ner in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land.18ALA­BAY, Başar: Kul­tu­rel­le Aspek­te der Sozia­li­sa­ti­on – Jun­ge tür­ki­sche Män­ner in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Inau­gu­ral-Dis­ser­ta­ti­on. Wies­ba­den, Sprin­ger VS, 2012.

Lite­ra­tur­quel­len und Anmer­kun­gen

Lite­ra­tur­quel­len und Anmer­kun­gen
1 Alt­hoch­deutsch.
2 Geni­tiv.
3 Dativ.
4 Akku­sa­tiv.
5 Gotisch.
6 Mehr­zahl
7 Unle­ser­li­ches Zeichen.
8 Wes­so­brun­ner Gebet.
9 Unle­ser­li­ches Zei­chen. Ver­mut­lich: man­nô miltisto.
10 Von der Wurzel.
11 Sans­krit.
12 Alt­nor­disch?
13 Aus­ge­las­se­ne Textpassage.
14 Vgl. SCHMIT­T­HEN­NER, Hein­rich (Hrsg.): Kur­zes Deut­sches Wör­ter­buch für Ety­mo­lo­gie, Syn­ony­mik und Ortho­ga­phie. Darm­stadt, Ver­lag von Fried­rich Metz, 1834, S. 178.
15 Vgl. MEU­SER, Micha­el: Geschlecht und Männ­lich­keit. Sozio­lo­gi­sche Theo­rie und kul­tu­rel­le Deu­tungs­mus­ter. 2., über­ar­bei­te­te und aktua­li­sier­te Auf­la­ge. Wies­ba­den, VS Ver­lag für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, 2006, S. 105.
16 An die­ser Stel­le muss man dar­auf hin­wei­sen, dass dies weder im Tür­ki­schen, noch im Ara­bi­schen der Fall ist. Zwar kon­zen­trie­re ich mich auf die deut­sche Ety­mo­lo­gie und schla­ge eine Brü­cke zu reli­giö­sen Quel­len, doch muss man unter­schei­den: Der ers­te Mensch ist in den abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen ein Mann, doch Gott ist nicht zwangs­läu­fig männ­lich. Im Koran heißt es in Sure 112: »Im Namen Allahs, des All­barm­her­zi­gen! Sprich: ›Allah ist der allei­ni­ge, ein­zi­ge und ewi­ge Gott (der unwan­del­ba­re). Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich‹«. Im Islam ist Gott somit nicht mit einem Vater oder einer Mut­ter zu ver­glei­chen. Das christ­lich »Väter­li­che« bleibt außen vor.
17 Vgl. CON­NELL, Robert: Der gemach­te Mann. Kon­struk­ti­on und Kri­se von Männ­lich­kei­ten. 2. Auf­la­ge. Geschlecht und Gesell­schaft. Band 8. Opla­den, Les­ke + Bud­rich, 2000, S. 65, BOUR­DIEU, Pierre: Das väter­li­che Erbe. Pro­ble­me der Vater-Sohn-Bezie­hung. In: Bos­se, Hans; King, Vera (Hrsg.). Männ­lich­keits­ent­wür­fe. Wand­lun­gen und Wider­stän­de im Geschlech­ter­ver­hält­nis. Sei­ten: 83–91. Frank­furt am Main, New York, Cam­pus Ver­lag, 2005 und MEU­SER, Micha­el: Män­ner­kör­per. Dis­kur­si­ve Aneig­nun­gen und habi­tua­li­sier­te Pra­xis. In: Beres­will, Mecht­hild; Meu­ser, Micha­el; Scholz, Syl­ka (Hrsg.). Dimen­sio­nen der Kate­go­rie Geschlecht. Der Fall Männ­lich­keit. Forum Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung. Band 22. Sei­ten: 152–168. Müns­ter, Ver­lag West­fä­li­sches Dampf­boot, 2007.
18 ALA­BAY, Başar: Kul­tu­rel­le Aspek­te der Sozia­li­sa­ti­on – Jun­ge tür­ki­sche Män­ner in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Inau­gu­ral-Dis­ser­ta­ti­on. Wies­ba­den, Sprin­ger VS, 2012.
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