Unbewusster Alltagsrassismus Wie sich Fehlformulierungen im Internet verbreiten können

Offener Rassismus ist eine klare Sache. Aber was ist mit dem alltäglichen Rassismus, der »so nebenbei« existiert? In Ausdrucksweisen, Denkweisen und Handlungsmustern – die zum Teil von Personen herrühren, die selber tatsächlich gar keine rassistischen Gedanken haben. Zumindest nicht bewusst.

Dieser Kurzessay ist aus einer sehr persönlichen Erfahrung entstanden. Ich habe lange überlegt, ob ich die beteiligten Personen, Einrichtungen und Orte offen beim Namen nennen soll. Letztendlich wäre so alles zumindest im Internet nachvollziehbar. Doch ich sehe davon ab und anonymisiere das Ganze. Mir geht es darum, exemplarisch an Hand einer Situation und der daraus entstandenen Lawine an Unannehmlichkeiten zu zeigen, wie schnell Unüberlegtes zu Missverständnissen, großer Wut und mehr führen kann.

Ein kurzer Abriss: In einer südwestdeutschen Stadt gibt es eine Parkanlage. In dieser wird von Tierschützern ein totes Wildtier gefunden. Die Obduktion ergibt, dass es an Gewalteinwirkung starb. Dies führt dazu, dass eine vorherige Beobachtung einer Gewalthandlung in diesem Park mit diesem Todesfall in Zusammenhang gebracht wird.

Die – in diesem Fall schon ältere – Zeugenaussage wird schriftlich fixiert und einer Organisation als Notiz weitergeleitet. Dies geschieht aufgrund der Geschäftszeiten ohne persönlichen Kontakt. Am nächsten Geschäftstag wird auf der eigenen Website eine Meldung gemacht, in der eine übernommene Passage bedenkenlos zitiert wird. Ziel ist es, Zeugen für den Vorfall zu finden. Anschließend wird dieser Text auch auf der zu der Organisation gehörenden Facebook-Seite veröffentlicht. Parallel hierzu kopiert ein Nachrichtenportal die Meldung kommentarlos und veröffentlicht sie ebenfalls auf der eigenen sowie Facebook-Präsenz. Irrigerweise geht sie davon aus, dass dies eine polizeiliche Meldung sei.

Womit eine Lawine losgetreten wird. Denn in besagtem Text befindet sich wortwörtlich folgende Passage:

Am […], saß ein Mann osteuropäischer Herkunft am späten Vormittag mit […] Kindern […].

Eigentlich wurden Zeugen für einen Gewaltakt gesucht. Aber der tendenziöse Ausdruck ein Mann osteuropäischer Herkunft ließ ein Gewitter an entsprechenden Reaktionen folgen (bereits nach einem Tag war die Nachricht insgesamt fast 1600 mal von zwei Quellen aus geteilt worden):

Zruck wo er herkekomme isch, oder au de Kopf uf de Bode schlage bis er im Kreis läuft und dann verrecke los. Wünsch dem penner alles Böse für seine Zukunft [sic].

das darf doch nicht wahr sein!!!!!! unfassbar hoffentlich wird der depp gefunden(man darf ja bei emigratironshintergrund nicht mehr schreib en was man denkt!!!sonst ist der teufel los) aber!!!!! ich hoffe!!! ihr findet ihn !!!!! [sic].

Ich wurde auf das Ganze aufmerksam, weil eine mir bekannte Person diesen Beitrag »teilte«. Und zwar nicht die Originalquelle, sondern die Kopie des Nachrichtenportals. Mein persönliches Intervenieren und der Hinweis darauf, dass keine Hinweise im Text stünden, die das belegten, sowie die Frage, wie denn Osteuropäer, Südasiaten und Mesoamerikaner unterschieden würden, führten zu einem persönlichen Streit statt einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Hierbei wurde argumentiert, dass es keine »bösen« Osteuropäer oder »gute« Schweden gibt, und deshalb tue das nichts zur Sache. Das war ein interessantes Argument, weil es zwei Sachen zeigte: Die Person hat anscheinend selber keine bewussten Ressentiments. Zugleich denkt sie aber, dass alle, die diesen geteilten Beitrag lesen, ebenso keine Ressentiments haben können. Warum? Weil sie mit ihr befreundet sind? Hier ist der kritische Punkt: Es wurde ein Alltagsrassismus manifestiert und transportiert.

Ich bin dann der Sache nachgegangen und habe alle offiziellen Stellen, die damit in irgend einer Art und Weise befasst waren, kontaktiert und mit der Ausdrucksform konfrontiert. Das waren zwei private und seriöse Vereine im Bereich Tier- und Naturschutz und mehrere Abteilungen einer Stadtverwaltung, inklusive einer polizeilichen Aufsichtsbehörde. Ausnahmslos alle meldeten sich zurück und zeigten sich schockiert. Bei der Stadt wurde intern ermittelt und festgestellt, dass diese Wortwahl nicht auf städtische Mitarbeiter zurückgeht. Daher könne man auch keine entsprechenden Maßnahmen einleiten. So sehr das technisch stimmen mochte, so offensichtlich war auch, dass man die größtmögliche Distanz zu der Formulierung suchte.

Man könnte diese Rechtfertigung auch falsch verstehen und denken, dass die juristischen Konsequenzen wichtiger scheinen als die menschlichen. Zumindest wirkte das auf manche Beteiligte so. Nach einiger Recherche wurde die Person ausfindig gemacht, welche die Wortwahl zu verantworten hatte. Diese konnte darstellen, wie es dazu kam. Es stellte sich heraus, dass es zwar einen Grund zu einer Annahme gegeben hatte, dieser jedoch bereits älter und über drei Personen transportiert worden war, das heißt: Es war nicht nachvollziehbar. Das sah sogar die Person so, die den Text geschrieben hatte. Nun muss man dazu sagen, dass dieser in der Form gar nicht zur Veröffentlichung gedacht war. Und die verfassende Person war auch über jeden Verdacht erhaben.

Dieser Vorfall zeigt mehreres:

  • Wie schnell eine unglücklich formulierte Passage missgedeutet werden kann.
  • Wie schnell sich Nachrichten im Internet verbreiten, ohne dass die involvierten Personen den Inhalt kontrollieren.
  • Wie wenig explizit kenntlich gemachte persönliche Meinungen bei der Verbreitung im Internet via soziale Medien existieren – es wird geteilt und fertig.
  • Wie unbedacht und unbedarft manche (viele?) sind. Dazu hat man zwar ein gutes Recht, aber wenn so etwas in der Folge zu einer Lawine führt? Wer hat dann die Verantwortung dafür zu tragen?
  • Und, ein weiterer Aspekt ist: Wie bewusst sind sich eigentlich viele Menschen über ihr tatsächliches Denken und Fühlen? Sind die Ressentiments vielleicht tief im Inneren doch vorhanden, und man erschrickt nur, wenn man darauf hingewiesen wird?

Wie dem auch sei – Kommunikation und Reaktion sind unverzichtbar. Nicht wegschauen, tun! Klingt plakativ, ist aber äußerst wirkungsvoll. In diesem speziellen Fall hat es sogar dazu geführt, dass alle Beteiligten einsichtig waren und die unnötige, falsche und fehlleitende Aussage wieder aus dem Netz verschwand.

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