Erinnerung an die Berliner Mauer Der Mauerfall am 9. November 1989

Manchmal kann es ganz schnell gehen, und die Geschichte schaut zurück auf ein Ereignis, das eine Zeitenwende eingeläutet hat. Der 9. November 1989 … ein Donnerstag. Wer ab einem gewissen Alter weiß in diesen Tagen nicht, wo er oder sie zu dem Zeitpunkt war, als die Mauer fiel? Ich weiß es noch sehr genau: in Darmstadt, bei Freunden. Die Herbstferien hatten angefangen, und ich befand mich auf der Durchreise, aus dem Schwarzwald kommend, auf dem Weg in meine Heimat Berlin, genauer: West-Berlin. Es war eine merkwürdige und seltsam unruhige Zeit. Hätte ich ein Tagebuch geschrieben, wäre es heute vermutlich ein Leichtes, die damalige Atmosphäre und die damit einhergehenden Gefühle dort abzuschreiben.

Am darauffolgenden Morgen kam ich in Berlin am Bahnhof Zoo an und fuhr sogleich ans Brandenburger Tor. Freunde waren mit dabei, und wir konnten gar nicht fassen, was los war. Das Stehen und Sitzen auf der Mauer – auf der Berliner Mauer! – war plötzlich über Nacht möglich geworden. Tage später sollten wir in Kreuzberg an ihr stehen und uns kleine Stückchen als Andenken heraus hämmern. Mauerspechte nannte man uns damals. Und wir nannten die Bröckchen Steine der späten Vernunft. Ich bewahre meine bis heute als Andenken in einem Glas auf.

Kürzlich habe ich einen Karton mit alter Post geöffnet und nach 26 Jahren zwei Briefe von einer Berliner Freundin gefunden, die sie mir zu jener Zeit geschrieben hatte. Einer war kurz vor den Ereignissen geschrieben worden und einer kurz danach. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns damals auch in Berlin getroffen haben müssen, doch es scheint, dass dies wohl erst nach dem 15. November geschah, sonst hätte sie mir nicht einen Brief mit Mauer-Steinchen als Souvenir in den Südwesten geschickt. Wir gehörten zu einer illustren Clique, die sich manchmal recht spontan traf. Unserem damaligen Verpassen habe ich es zu verdanken, dass ich schriftliche Aufzeichnungen aus jener Zeit habe. Einen Augenzeugenbericht, der zeitnah in einem Brief an mich festgehalten wurde:

Berlin, den 15.11.89

»Ich habe ein kleines Souvenir für Dich. Extra am Freitag herausgerissen aus der Mauer. Hier ist zur Zeit alles total chaotisch seit Donnerstag nacht. Vom Freitag bis zum Montag war ich fast nur an der Mauer. Es war so toll, jetzt mal emotional gesehen, und wenn man noch Freunde drüben hat, dann sieht es ganz anders aus. Auf einmal trifft man sich mit ihnen im Westteil der Stadt. Also ich war natürlich auch auf der Mauer am Freitag. Die ganze Nacht hindurch bis Samstag um 5 Uhr oder so. Dort habe ich noch 2 Leute kennengelernt, und wir sind dann zu dritt ins Café gegangen. Samstag abends ging es gleich weiter, und sonntags hatte ich eben Besuch aus Ost-Berlin. Am Montag war ich mit T. an der Mauer. Es ist so super, daß die Leute jetzt rüber dürfen, jetzt mal nur menschlich gesehen. Wirtschaftlich sieht es vielleicht schon ganz anders aus oder politisch. Aber das ist mir jetzt so ziemlich egal.«

Der Kontrast schlechthin … ist ein Brief, den sie mir nur zweieinhalb Wochen vor dem Fall geschrieben hatte: Zwei Zeilen, die das damalige Berliner Schicksal und unseren Berliner Alltag trefflich beschreiben:

Berlin, den 22.10.89

»Tja, aus Ost-Berlin konntest Du keine Karte bekommen, da mir am 40sten Jahrestag der DDR die Einreise in die DDR zur Zeit ›leider‹ verweigert wurde. Aber in 2 Wochen, in den Herbstferien fahre ich dann rüber.«

Diese Herbstferien hatten wir uns wohl alle ganz anders vorgestellt.

Es gibt Momente, die vergisst man nie. Und sie prägen einen. Die Gefühle, die wir damals durchlebten, sind kaum in Worte zu fassen. Freude, Ungewissheit und Beklommenheit zugleich. Es war das reinste Chaos. Die Mauer war gefallen. Nach 28 Jahren hielt wieder ein Zug der U-Bahnlinie 8 am Bahnhof Jannowitzbrücke, man konnte plötzlich einfach über die Absperrungen zu den Grenzsoldaten gehen und Arm in Arm ein Gruppenfoto machen. Sollten nun die Menschen zueinander finden? Oder würden Panzer rollen? Wir wussten es zu dem Zeitpunkt nicht. West-Berlin und Ost-Berlin küssten und umarmten sich plötzlich dort, wo bis vor kurzem noch alles gewaltsam getrennt war, scharf geschossen und getötet wurde. Was würde kommen? Wie würde es nun überhaupt weitergehen? Wir konnten es uns nicht vorstellen … und es war zu dem Zeitpunkt auch den meisten »ziemlich egal«.

Am 8. Oktober 2016 habe ich ein weiteres Memorandum zu diesem Thema geschrieben, diesmal mit Bildern von 1976, aus der Bernauer Straße: Die Berliner Mauer in der Bernauer Straße.

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